Cabo De Gata by Eugen Ruge

Cabo De Gata by Eugen Ruge

Autor:Eugen Ruge [Ruge, Eugen]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783498057954
Google: gL62NAEACAAJ
Herausgeber: Rowohlt Verlag
veröffentlicht: 2013-06-06T22:00:00+00:00


5

Nach zwei Tagen meint der Engländer, alles gesehen zu haben, was es in Cabo de Gata zu sehen gibt, und fährt weiter in Richtung Gibraltar. Ich bleibe und nehme den gewohnten Tagesrhythmus wieder auf. Allerdings mit kleinen Änderungen.

Ich spiele jetzt Billard. Ich spiele immer am Nachmittag, wenn ich nach meinen Ausflügen wieder ins Dorf zurückkehre. Ich habe mir angewöhnt, täglich am Strand spazieren zu gehen, genauer gesagt: auf dem Hinweg – Hinweg: wohin? – nehme ich den Strand, zurück gehe ich ein paar hundert Meter landeinwärts an den Flamingo-Seen entlang, die übrigens, wie sich herausstellt, der Salzgewinnung dienen: Es sind künstliche Becken, in denen das Meerwasser allmählich verdunstet und, wie man in einigen sieht, eine tote, schmutzige Salzkruste zurücklässt.

Täglich um die gleiche Zeit betrete ich die Bar, wo der schmächtige Barmann hinter der Theke steht und, blindlings Gläser polierend, zu seinem Fernseher aufschaut.

Wenn ich die Freiheit hätte, es zu erfinden, würde ich dem Barmann vermutlich ein anderes Temperament andichten, einfach um ein bisschen Abwechslung in meine Gestalten zu bringen. Da ich aber beschlossen habe, aufzuschreiben, was mein Gedächtnis liefert, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn ebenso stoisch und maulfaul auftreten zu lassen wie die Frau mit dem dicken Hintern – mit dem Unterschied, dass mich das kleine Schauspiel, das wir täglich zusammen aufführen, zu interessieren, ja zu belustigen beginnt. Es geht folgendermaßen:

Ich grüße ihn – er mich nicht. Stattdessen schaut er noch eine Weile in seinen Fernseher, bevor er sich – nicht zu früh! – mir zuwendet und zum Zeichen, dass er meine Bestellung aufzunehmen bereit ist, das Kinn hebt.

Ich bestelle Kaffee. Ich bestelle jeden Tag Kaffee. Trotzdem hebt er jeden Tag wieder das Kinn. Jeden Tag tritt er vor seine Maschine, macht sich, vom Fernseher abgelenkt, eine Weile daran zu schaffen, um mir dann – obwohl ich beides jeden Tag ostentativ auf der Theke zurücklasse – einen eingeschweißten Keks und ein Zuckerröhrchen auf die Untertasse zu legen, und das Einzige, was sich nach einiger Zeit ändert, ist, dass er sich, da die hundert Pesetas schon auf der Theke bereitliegen, das eine Wort spart, das er mir anfangs noch zugebilligt hat: Cien!

Dann schlürfe ich meinen Kaffee, wir schauen beide zum Fernseher hinauf, wo stets eine Art spanisches MTV läuft: Ich erinnere mich an coole Schwarze in 50er-Jahre-Cabriolets, an schmerzhaft schöne Frauen, die ihre Hüften bewegen, als hätten sie es dringend nötig, sexuell befriedigt zu werden; an chamoisfarbene Katakomben, in denen wilde junge Männer in unnatürlicher Haltung einen Mikrophonständer umklammern oder, als hätte es das noch nie gegeben, Gitarren zerschlagen.

Nach dem Kaffee werfe ich eine Münze in den Billardtisch und spiele eine Runde Billard gegen mich selbst: die Vollen gegen die Halben, wobei ich, egal wie es ausgeht, immer das Gefühl habe zu verlieren.



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